Unser Abispektakel 1963 - AbiJahrgang63

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Unser Abispektakel 1963

Das Abispektakel war wohl der Höhepunkt einer fortwährenden Auseinandersetzung von uns ungebildeten Schülern mit der Autorität der Schule, repräsentiert durch ihre Lehrer.
Viele Streiche waren von minderer Qualität und einfach aus Übermut der Situation geschuldet, so z.B. das "Erdbeben" in der Tertia. Unser Klassenzimmer hatte einen Boden, der auf Holzbalken "ruhte". Bald merkten wir, dass man ihn in Resonanzschwingungen versetzen konnte. Die zwei Schlingel in der letzten Reihe stützten sich mit den Händen auf den Knien ab und pumpten mit den Beinen so gut im richtigen Rhytmus, dass der Katheter vorne leicht auf- und abtanzte. Das beunruhigte unsern Englischlehrer Herrn Marose. Nachdem wir ihm erklärten, dass das wohl ein leichtes Erdbeben sei, blieb die Sache ohne Folgen.

Schlimmer war dann schon die "Fisch-Tragödie". In der 9. hatten wir ein besonderes Klassenzimmer. Es war ein Eckzimmer unter dem erst 1953 ausgebauten Dach mit großen Fenstern. Der Übergang von den  Fensterrahmen auf die Dachpfannen war mit duktilem Bleiblech regensicher gemacht. Von dort sah man auf den Garten des Hausmeisters in der Tiefe. Das Blei ließ sich leicht abpulen und so veranstalteten wir Wettschießen. Ziel war das Goldfischbecken des braven Hausmeisters. Die Konsequenz hat uns dann doch erschreckt.
Bilanz: Nach einigen Wochen waren alle Goldfische tot. Nicht erschlagen von den Bleigeschossen sondern verendet infolge einer Bleivergiftung. Von nun an planten wir überlegter.

Der Schulfunk-Fake  In der 9. bekamen wir ja das besondere Eckzimmer unter dem Dach. Daran grenzte ein geheimer, verschlossener Raum. Die Tür hatte ein recht einfaches Schloß und blieb so nicht lange verschlossen. Innen fanden wir eine Einrichtung zur Filmprojektion. Zwei Glasfenster und ein Lautsprecheranschluß bildeten die optische und elektroakustische Verbindung zum Klassenraum. Während wir im Physikunterricht noch die "Barkhausenformel" für Vakuumröhren lernen mußten (der 19 Jahre vorher erfundene Transistor war noch nicht im Lehrplan), hatte Kalle schon ein Transistorradio mitgebracht, etwas größer als eine Zigarettenschachtel. Das war schnell an die Lautsprecher-Kabel in dem Nebenraum angeschlossen und der Unterricht wurde auf sonderbare Weise mit Radio-Musik und Nachrichten angereichert, nicht laut, aber vernehmbar. Den verdutzten Lehrern erklärten wir, das sei doch der neue Schulfunk. Ein Lehrer ist dann wohl heimlich zum Direktor gelaufen. Und Direktor Doß war ein gerissener Hund. Der Streich war juristisch nicht greifbar, also bestrafte er den Einbruch in den Nebenraum. Irgendwie hat er sogar den "Täter" des Einbruchs herausgebracht. Der arme Ulli bekam einen Verweis.
Der große Abi-Streich
Abi-Streiche hatten in Verden Tradition. Der 1961er Jahrgang, organisierte zwei Jahre zuvor den "Durst-Löschzug". Das mußte überboten werden. Gerd Matthäi (später der größte Sponsor des Domgymnasiums) konnte einen Straßenbauwagen incl. Zugmaschine besorgen. Der ließ sich zum Zirkuswagen umdekorieren. Das Motto "Zirkus Schule" war geboren. Die Vorgehensweise war allerdings ein sehr subtiler drei Stufen Plan.

Stufe 1: Die Abi-Zeitung Sie bildete den Grundstock, ein Röntgenbick durch unser Lehr- und Lernwesen. Der Titel "Der Auspuff" war eher unglücklich. Jeder Lehrer wurde peinlichst seziert und sein Wirken in Verse gefasst.
So schöpferisch hatten wir in der Schulzeit noch nie zusammengearbeitet. Mit der Freiheit vor Augen wurden aus Lernsklaven der Schulzeit auf einmal Konspirateure. Das war der Moment, wo eine Gruppe zur Gemeinschaft mutierte. Das 22-seitige Manifest wurde auf Wachsmaritzen gehackt und gemalt und mit dem Ormig(c)-Spritumdrucker mühsam vervielfältigt und gebunden. "Schule = Zirkus" war die visuelle Zusammenfassung unserer Beobachtungen, jeder Lehrer wurde zum Akteur im "Zirkus Schule". Lehrer für Lehrer wurde gemäß dieser Metapher charakterisiert. Da gab es Dompteure, Drahtseil-Artisten und Clowns. Das Abitur hatte uns gelehrt, dass die Lehrer im Abitur schlimmer mogeln als ihre Schüler; vor Angst, dass ihnen das Abitur daneben geht. In Mathe - ist ja verjährt - wurden sogar die Prüfungsaufgabe vorher im Unterricht durchgekaut. Gut, wir haben alle bestanden.
Unsere Abi-Zeitung 1963  (hier auch größer als PDF zum herunterladen, 4MB)
Stufe 2: Das Plakat und der Umzug
Die Zeugnisse in der Tasche, sind wir Samstag nachmittag, kurz vor Geschäftsschluß, ausgeschwärmt und haben die Plakate in der "Großen Straße" an die renomierten Geschäfte Verdens verteilt. Mit harmloser Miene baten wir um einen Platz im Schaufenster und haben dann die Plakate von innen dort mit Tesafilm befestigt. Kurz darauf verfiel die Stadt Verden in den üblichen Wochenendfrieden. Die Plakate wurden am Sonntag zum Stadtgespräch und der Verdener Bürger sollte nicht enttäuscht werden. Mit dem Plakat heimtückisch auf das Spektakel hingewiesen. Dann mit dem dort angekündigten Umzug alle guten und schlimmen Erwartungen mehr als erfüllt. Rechts: Zeitungsausschnitt © Heimatzeitung Rotenburg 1963

Stufe3: Die Aktion  Am Montag in der Früh zockelte der lustige Zirkuswagen mit Musik und Durchsagen durch die "Große Straße" in Richtung Schule. Direktor Doß war ein gerissener Hund. Er musste nach der Plakataktion ja ahnen, dass ein Überfall auf seinen Schul- und Pausenhof stattfinden wird und er hatte alle Tore vorsorglich verschließen lassen. Das hat ihm aber nichts genutzt. Unser Zirkuswagen war technisch hochgerüstet. Mobiles Tonbandgerät für die Musik, Megafon für die Ansprache und eine gigantische Lautsprecher-Anlage für den Wumms. Wir erfuhren später, dass das Spektakel noch jenseits der Aller in Hönisch zu hören gewesen sein soll.
Kurzum wir fuhren natürlich schon vor der Pause während des Unterrichts vor, platzierten uns vor dem verschlossenen Pausenhof und drehten die schmissige Zirkus-Musik auf: "... und wenn der ganze Zirkus kracht, die große Nummer wird gemacht ...1)". Da  öffneten sich die Fenster der Klassenzimmer und immer mehr Klassen strömten trotz Unterrichts auf den Pausenhof.
Nun kam das Megaphon zum Einsatz. Im Überschwang der Gefühle tönte es in freier Rede über den Hof, was für ein Zirkus die Schule, was für Dompteure und Clowns unsere Lehrer waren.
Auch unsere Parallelklasse machte einen Umzug. Die Aktion hatte den geheimnisvollen Namen "FLOPs" und unsere Kollegen generierten sich als Irre, die aus der Irrenanstalt in die Freiheit entlassen wurden.

Nachspiel Der Rest folgte wohl getreu dem Drehbuch der "Feuerzangenbowle". Es sickerte durch, dass eine Lehrerkonferenz zusammentrat, um uns die rechtlich erworbene Reife wieder abzuerkennen. Direktor Doß war ein gerissener Hund, und es geschah gar nichts.
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1) Ein Jahr zuvor, 1962, kam Ralf Bendix mit dem Schlager "Die große Nummer wird gemacht" heraus. Googelt man: grosse Nummer gemacht stößt man schnell auf ein youtube-Video von 1975, aus dem dieser Tonschnipsel stammt..
 
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